Die Fledermaus I

Fledermaus I

Reine Stille windet sich durch meine Wohnung.

Ich höre tief in diese Stille hinein und meine Ohren werden schwach davon. Erinnerungen vom Tag verblassen, werden überlagert von einem lautstarken Spektakel in meinem Kopf. Jeder Schritt, den ich tat, jedes Zucken, auch nur das Streicheln auf meiner Haut kreiert einen Knall und Pegel, sodass ich aus mir herausplatzen möchte, damit diese Stille meiner Umgebung auch wieder in mich hineindringen kann.

Wenn ich mich auf die schwirrenden Gedanken von heute besinne, werden sie hörbar und immer dröhnender. Sie übertönen alles. Jeder kleinste Gedanke schreit auf mich ein, brüllt sich die Seele aus dem Leib, und die Stille meiner Umgebung wird immer weiter in den Hintergrund gedrängt.

Ich bin kein Mensch, ich bin ein Tier. Ich habe kleine Flügel und schwarzes Fell. Die Krankheit hat mich verwandelt, nun stoßen mich nicht nur die Gedanken von sich, sondern auch die Menschen.

Meine Sinne sind scharf, zu scharf, um zu überleben in dieser Welt. Die Augen können Licht wahrnehmen, jedoch nicht so gut, nur Schemen vermag ich zu sehen. In der Nacht werde ich aktiv, in der Nacht treibt mich die Krankheit umher und macht mich munter. Die starke Abhängigkeit vom Kaffee tut ihr Übriges dazu. Hier in der Nacht spiegelt sich alles wider. Mein Empfinden und Abtasten der Umwelt. Die Schallwellen fliegen durch die Schwärze, ihre Wiederkehr zeigt mir an, wo ich mich befinde und was mich umgibt.

So ist auch die Krankheit. Lange Fühler mit der Gabe, Schallwellen abzusenden und zu empfangen, hat sie mir geschaffen. Meine Hände wurden mit einem ausgeprägten Tastsinn verflucht, der mich seit Geburt mit tiefen Wunden straft. In den Ohren wird der Krankheit alles zu laut. Nacht bleibt es auch am Tage, denn die Nacht wohnt in mir selbst. Meine Sinne riechen und hören die Menschen, doch was mich erreicht, zerschneidet mir meine Seele und die Krankheit wächst und wird unaufhaltsam größer. Der Leib war ihr nicht gewachsen, so verwandelte sie mich zum Tier.

Da helfen kein Flehen und kein Beten, als Fledermaus unter Menschen kann man nur in seiner Dunkelheit existieren. Menschen werden bei allem, was ihnen fremd ist, triebhaft böse. Diese Unwesen genießen und lieben doch irgendwie die Andersseienden, denn jene sind weniger. So können sie ihr Massegefühl verstärken, ihre schamlose Erhabenheit ausweiten und sich besser fühlen, wenn sie den niedrigen Wert ihres Selbst mit nichts als Illusionen füllen. Gern nutzen sie ihre Waffen, richten sie auf uns, schießen uns bei Tag und Nacht.

Allein bin ich nicht, doch es wird schwer, die anderen Kranken, die anderen Fledermäuse, zu finden, da wir uns alle in unsere ganz eigenen, individuellen Kammern zurückziehen mussten.

Mein Puls rast, ich spüre keine Ruhe in mir, dabei hatte ich vor wenigen Stunden einen Hauch von Hoffnung. Eine Welle hatte mich erreicht, die nicht die meine war, doch mein Suchen nach dem Sender blieb erfolglos. Dann blickte ich auf meine Uhr und der schiere Umstand, dass es Zeit wurde, sich auf den kommenden Arbeitstag unter Menschen vorzubereiten, ließ mich in ein tiefes Loch von Angst fallen.

Die Sehnsucht hält mich am Leben, denn ich glaube fest an einen Ort, an dem wir Fledermäuse vereint oder wenigstens in kleinen akzeptierenden Gruppen leben können.

Die Krankheit glaubt nicht mehr, aber sie lässt den Glauben zu. All unsere krankgemeinten Sinne sind bis an ihre Grenzen überlastet, doch wir Fledermäuse geben nicht auf, denn wir glauben. Wir glauben und hoffen auf unsere gemeinsame kristalline Nacht.

3 Kommentare zu „Die Fledermaus I

    1. Es freut mich sehr zu hören, wenn es andere gibt, die von den Worten berührt werden und sich selbst damit identifizieren können. Danke für deine Liebe Rückmeldung!

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